Sonntag, April 18, 2010

Rio 6

Noch ein Rionachtrag. Am letzten Tag habe ich doch noch mein Traumviertel gefunden. Dummerweise habe ich den Namen schon wieder vergessen. Santa Irgendwas. Liegt auf einem Hügel oberhalb des Zentrums und ist am bequemsten mit einer Art Straßenbahn zu erreichen und zu entdecken. Auf die kann man auch während der Fahrt auf und wieder abspringen. Idylisch! Und "meinen" Platz habe ich dort auch entdeckt: Eine Cafe/Bar/Restaurant in einem von Bäumen eingesäumten Haus im Kolonialhaus-Stil (glaube ich jedenfalls) - von jungen Leuten betrieben, mehrere Terassenebenen, gemütlich und Brownies zum Darniederknien. Irgendwo habe ich auch noch die Visitenkarte falls es jemand genau wissen will. Rio, tschüß! Ich habe etwas gebraucht um mit Dir warm zu werden, aber ich denke, jetzt sind wir Freunde.

Donnerstag, April 15, 2010

Rio 5

Noch eine neue Welt. Tapetenwechsel dürfte hier ein Euphemismus sein.

Über zwei Freunde (Danke Frank, danke Max!) kam ich in Kontakt mit Frigo, einem Schweizer Graffitikünstler, der schon seit vielen Jahren in Rio lebt und jede noch so düstere Ecke der Stadt wie seine Westentasche zu kennen scheint. Immer wieder sprühte er auch in diversen Favelas und vergangene Nacht habe ich ihn auf eine Tour begleitet.

Es ist gegen elf Uhr Abends. Ziel ist die Favela Jacaré im Nord-Westen der Stadt. Wir starten mit einer halsbrecherischen Busfahrt und steigen im Nirgendwo aus. Noch sind wir nur zu zweit, wir sollen den Rest des Trupps vor Ort treffen. Von der Straße führt eine Art Toreinfahrt in etwas Siedlungsartiges. Dreck liegt auf dem Weg, wir passieren Süchtige und Drogenhändler im Dutzend. Ich lerne die erste Regel: Gehe zügig ohne groß nach links und rechts zu sehen; als würdest du das hier zum hundersten Mal machen. Ok, ich versuchs...

Diese Favela ist weit weg davon "befriedet" zu sein, wie es die meisten Favelas im direkten Umfeld von Ipanema und der Copacobana sind. Die Polizei wagt sich hier nur schwer bewaffnet und - wie berichtet wird - reichlich wütig um sich schießend hinein. Kürzlich wurden wieder sechs Bewohner erschossen. Das Sicherheitsempfinden meiner Begleiter wirkt denn auch auf den ersten Blick wie verkehrte Welt: Weil hier keine Polizei Ihr brutales und korruptes Unwesen treiben kann, fühlt man sich relativ sicher.

Wir sind immer noch zu zweit und sind am ersten Treffpunkt angekommen. Ein kleiner Platz in völliger Dunkelheit wie viele Teile der Favela. Teilweise scheinen die Lampen kaputt zu sein, teils wirkt es aber auch wie Methode. Wir warten und ich strenge mich an meine Anspannung zu kontrollieren und nicht feindlich zu wirken.

Als Frigos Freunde kommen, entspannt sich die Szenerie. Plötzlich werden Hände im Umfeld geschüttelt, man kennt viele der Bewohner hier. Die Sprayer werden als legitime Besucher begrüßt. Als ich ein Foto eines Trupps von Motorrad-Taxifahrern machen möchte, reagiert man begeistert - aber missverständlich. Plötzlich stehen die Motorräder alleine da. Fotografieren, das ist die nächste Regel die ich lerne, gerne, aber keine Gesichter oder Personen. Meine Bilder werden reine Architekturstudien werden.

Wir gabeln noch einen Favelabewohner auf. Ein Freund und eine kleine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme. Jetzt ist die Mannschaft komplett und man macht sich auf die Suche nach einer geeigneten Wand. Kaum gefunden wird gesprüht und gemalt. Ich fotografiere die Graffitis und Malereien und gelegentlich heimlich in andere Richtungen - und werde prompt zurück gepfiffen. Zu gefährlich. Nicht provozieren ist die Devise.

Und da stellt sich bei mir auch urplötzlich der nötige Respekt ein: Auf einem Motorrad tauchen zwei Aufpasser auf, wie wir sie noch oft sehen werden. Vorne der Fahrer und hinten der Sozius, bewaffnet mit einem modernen Sturmgewehr westlicher Bauart. Beide um die zwanzig. Freundlich, aber sich der Macht ihrer Bewaffnung wohl bewusst. Die gute alte AK-47 scheint ausgedient zu haben. Interessant: ich fürchte mich nicht und habe auch keinen Grund dazu. Natürlich werden diese Aufpasser irgendeinem Gangsterboss unterstehen, aber sie sind nicht betrunken oder bekifft, sondern ziemlich abgeklärt bei der Arbeit. Und unsere Interessen kollidieren einfach nicht.

Man toleriert uns und mit längerer Präsenz scheinen das einzig wirklich Gefährliche völlig wahnsinnige (diesmal unbewaffnete) Motorradfahrer zu sein, die mit oder ohne Mädchen auf dem Rücksitz hupend, schlingernd und ohne Licht die engen Straßen hinab und hinauf rasen.

Plötzlich ein Schuss. Wir blicken den begleitenden Bewohner an, der zuckt nur grinsend mit den Schultern. Analog zur Schwalbe die keinen Sommer macht, ist ein einzelner Schuss auch noch keine Gefahr.

Fakt: Solange keine Polizei auftaucht und wir zwischen die Fronten geraten kann uns kaum etwas passieren. Denke ich und sage ich. Klar, meint Frigo im langezogenen Schweizer Slang, aber irgendwas kann immer passieren. Einfach ruhig bleiben rät er. Na gut.

Nach getaner Arbeit machen wir uns auf die Suche nach einem Imbissstand. Den finden wir mitten im Gewirr der Gäßchen. Die Kamera habe ich auf dem Weg auf Anraten weg gepackt, auch um den zahlreichen "Händlern" keinen Anlass für Ärger zu geben. Es gibt Cola und Hamburger. Wir sitzen auf einem verstaubten Betonvorsprung und es schmeckt verdammt gut. Nochmal schauen ein paar bewaffnete Jungs vorbei, beachten uns aber kaum noch.

Die einzige abschließende Sorge: Beim Verlassen der Favela der Polizei nicht über den Weg laufen. Denn für heute Nacht sind wir einfach auf der falschen Seite. Der falschen? Na jedenfalls der anderen.

Als ich im drei Uhr nachts mit dem Bus in Ipanema ankomme, nehme ich für den kurzen Weg zu meinem Apartment ein Taxi. Die Gefahr hier auf den verlassenen Straßen überfallen zu werden, scheint jetzt deutlich größer als zwischen Maschinenpistolen und Dealern.

Mittwoch, April 14, 2010

Rio 4

Stadtteilwechsel. Von Ipanema und der Copacabana ins Zentrum. Und wieder eine neue Welt. Geschäftswelt total.

Und erneut spiegelt sich Downtown New York. Wolkenkratzer und hastende Massen prägen das Bild. Statt hotdogs werden Maiskolben angeboten. Der große Unterschied zu New York: eine noch größere Nähe von Armut und Mittelstand; der allpräsente Versuch noch ein wenigstens kleines Stück vom Kuchen abzubekommen.

Und dann zwischen den Wolkenkratzern wie Aliens uralte Gebäude, die noch von der portugiesischen Herrschaft zeugen. Ich sitze im Hof eines toskanisch anmutenden Schlosses, des damaligen Herrschaftsitzes und versuche mir Geschichten von damals vor Augen zu führen: Der vor Napoleon nach Rio flüchtende portugiesische Kronprinz (im Schlepptau ein Hofstaat von 15.000 Personen! - kann das stimmen?!) weigerte sich nach Waterloo schlicht wieder zurück zu kehren. Als seine Mutter dann starb, er König wurde und der Druck in Lisabon zu regieren sicher noch größer wurde, drehte er die Regeln kurzerhand um und erklärte Rio zur Hauptstadt des Vereinigten portugiesischen Königsreichs. Wundervoll! Unter Führung seines Sohnes und gegenüber dem dann schon schwachen Portugal ging Brasilien dann später in die Unabhängigkeit.

Ich muss aufhören. Ich höre Hufgetrappel und das Knirschen von Eisenreifen auf dem steinernen Pflaster...

Dienstag, April 13, 2010

Rio 3

M&Ms mit weißer Schokolade!!! I will stay in Rio!

Rio 2

Der Strand von Ipanema! Legende!

Aber es ist ein Strand! Ein Strand! Ein Strand! Meer, Sand, Menschen. That's basically it. Schon mal gesehen.

Aber wer Träume hat, kann sie freilich ganz wunderbar hierher mitbringen. Und als ich durch den nassen Sand an der Grenze zum Wasser laufe, erwische ich mich selber ein paar mal beim Summen. "...oh, but I watch her so sadly, how can I tell her I love her?..."

Rio 1

Ich habe Buenos Aires verlassen und bin nach Rio gesprungen. Mehr Armut, mehr Romantik; das Schema funktioniert.

Der Flughafen hat die strukturelle Kapazität von Hof oder Graz. Das Gefühl einer Großstadt stellt sich hier noch nicht ein. Aber spätestens in den monumentalen Staus auf dem Weg in die Stadt. Kinder und Jugendliche von nahegelegenen Favelas springen halsbrecherisch zwischen dem Stop und Go Verkehr hin und her und versuchen Kekse zu verkaufen. Es scheint keinem zu gelingen. Eine Freundin die mich vom Flughafen abgeholt hat, amüsiert sich über mein Mitleid. "Future Criminals" Dabei hat sie sich selber gerade noch über die verfehlte Armutspolitik der Stadtregierung aufgeregt.

Die Stadt: Riesig! Hügelig! Grün! Tropisch! Und irgendwie kommt mir die Energie, das Ungestüme, diese Hitze Lateinamerikas hier noch unmittelbarer , kräftiger und unkontrollierbarer vor als in Buenos Aires. Vielleicht will ich das aber auch nur gerade so spüren.

Sonntag, April 11, 2010

Buenos Aires 6

Die Reaktion auf Räuber sind überwältigend. Heute war die zweite Vorstellung, 800 Zuschauer, riesige Begeisterung für den Film und eine lange spannende Q&A-Runde. Und ich durfte mich über die vielfältige Interpretierbarkeit bildender Kunst auslassen. Herrlich!

Samstag, April 10, 2010

Buenos Aires 5

Fur heute Abend hat mich eine Elektro-Pop Sängerin, die ich am ersten Abend in Buenos Aires kennen gelernt habe, zu einem ihrer Konzerte eingeladen. Das startet um 3 Uhr. Nachts. Harte Sitten. Es ist eine Gay-Party und ich habe wohl etwas gelogen, als ich behauptet habe, dass mir das gar keine Angst macht.

Buenos Aires 4

Ich bin lange gewandert, von Downtown durch San Telmo nach La Boca, dem alten Hafenviertel. Dort bin ich kreuz und quer durchs Viertel gelaufen. Die bittere Wahrheit: Armut wirkt von Aussen einfach wildromantisch. Heruntergekommene Fabrikgebäude, streunende Hunde, schmutzige Kinder, die Wohnzimmer vor der Haustür. Das Strassenbild erinnert an verlassene amerikanische Vorstädte, breite staubige Pisten, blockweise kein Mensch zu sehen, dann wieder ein sinnlos grosser Supermarkt.

In einer versteckten Kellerbäckerei/-metzgerei, über die ich zufällig stolpere, bestelle ich eine Blätterteigtasche mit Hackfleischfüllung - ehrlich gesagt nur, weil sie oben auf liegt und den Fingerzeig einfach macht. Zwischen Bauarbeitern schlinge ich den besten Snack herunter, den ich seit Tagen gegessen habe.

Ein paar Mal muss ich meine Beine unter die Arme nehmen, weil herumlungernde Typen entweder mein Fotografieren oder meine Anwesenheit überhaupt störend finden. Aber wie es in Gegenden, in denen die Stimmung nach jedem Strassenzug wecheln kann, so ist, es gilt auch umgekehrt: man muss meist nicht lange spurten um auch wieder einen Polizeiwagen in seiner Nähe zu wissen. Dies immer verbunden mit der Hoffnung, dass die Polizei ihren Sold gerade nicht als viel zu gering empfindet...

Buenos Aires 3

Um kurz dem Eindruck entgegen zu wirken, ich würde das Festival links liegen lassen: Mitnichten. Ein Filmfestival hat nur naturgemäß nicht so viele erzählenswerte Erfahrungen parat wie das echte Leben. Und letztlich ist es eben auch schlicht Arbeit. Dafür ist es aber eine großartige Grundlage. Vielfältige Gelegenheiten den neuen argentinischen Film kennen zu lernen und insbesondere ein Coproduktionsmarkt, der Kontakte für zukünftige Cooperationen anbietet. Spannende Wege ergeben sich.

Buenos Aires 2

Buenos Aires ist groß! Sehr sehr groß! Schon beim Anflug liegt die Stadt ewig lang unter uns und scheint überhaupt kein Ende zu nehmen. Ein Erlebnis, daß so wohl nur von Städten wie Sao Paulo oder Mexiko City übertroffen werden dürfte.

Das macht es schwierig die Stadt zu begehen, mehr als Schlaglichter auf bestimmte Viertel zu werfen. Der erste prägende Eindruck: Ein europäisches New York, genauer, ein spanisches Manhatten, durchdrungend aber von der Finanznot der zweiten Welt.

Geschäftigtkeit, Quirligkeit, ein Stampfen des Herzens der Stadt ist auf den großen Straßen und dazwischen zu spüren. Und als ich mich zu Fuß Richtung Hafen aufmache, habe ich Downtown wieder ein Deja Vu, als würde ich im Financial District von New York ankommen.

Die Gerüche stammen wieder eher aus südeuropäischen Großstädten - für einen Italiener, den ich im Flieger kennen gelernt hatte, der für die schwäbische Firma Kärcher das Südamerikageschäft betreut, war das am Flughafen auch das echte Ankommen: "Now smell Southamerica", sagte er. Was man da riecht ist einfach nur eigen, eine Mischung aus hiesig verwendeten Materialen, etwas Müll, Schweiß, Parfüm. Ich werde es jedenfalls wieder erkennen. Und mögen.

In den dicht besiedelten zentralen Bezirken ist eine beeindruckende Geschäftigkeit zu erleben. Jede Nische wird genutzt noch einen kleinen Laden aufzumachen und der Grill neben dem Friseurstuhl nichts besonderes. Imbissbudenbesitzer haben ihre helle Freude an mir, weil ich bestellen muss ohne zu wissen, was ich gleich essen werde.

Es gibt ein paar düstere und kritische Viertel in Buenos Aires. Und ich konnte sie auf meinen Streifzügen mit der Kamera nicht umgehen. Denn immer wieder sagte irgendein Polizist das gefährliche Zauberwort zu mir: "Don't go there!". Und dann, klar: verdammte Neugier.

Freitag, April 09, 2010

Buenos Aires 1

Der erste Abend in Buenos Aires. Ich habe gerade die Eröffnungsveranstaltung des Festivals erlebt, brav langen Reden zugehört und eifrig geklatscht, wenn es angebracht schien. Verstanden habe ich freilich kein Wort.

Danach liege ich Jetlag-geplagt im Hotelzimmer und zappe mich durchs Programm. Weil ich unter den ersten dreißig Kanälen partout keine mir geläufige Sprache entdecke, bleibe ich bei einem Kinderkanal hängen.

Ein blauer Elefant auf Rädern (oder ein Bus mit Mund und Augen, möglicherweise auch ein riesiger Staubsauer mit Gesicht) und ein Motorradschwein (also wirklich ein Schwein, das aber statt Beinen zwei Räder hat!) versuchen einen Straßenlooping zu durchfahren. Das gelingt erst nicht mangels Geschwindigkeit und man versucht sich an verschiedenen Lösungsideen. Das Schwein gibt sich aber so brutal weinerlich und hoffnungslos, das man irgendwann aufhört im noch Erfolg wünschen zu wollen. Ich merke, wie ich mir dauernd einen „Happy Tree Friends“ Fortgang wünsche, bei dem das Schweinchen irgendwo den Kopf verliert.

Wieso laufen hier Kindersendungen eigentlich um zwei Uhr nachts?!