Samstag, Februar 07, 2009

Das Reisen in den Zeiten der geistigen Cholera

Eine Entschuldigung vorab. Der hochtrabende Titel findet keine echte Widerspiegelung im folgenden Text. Aber ich fand ihn so hübsch, daß ich ihn nicht mehr ändern wollte.

Ich habe eine Reisemacke. Ich kann in Deutschland im Zug nur erste Klasse fahren. Das klingt nach Luxussucht, so ist es aber eigentlich nicht. Es geht mir weniger um bequemeres Reisen oder ein Abheben von der Masse. Der eigentliche Grund ist noch viel überheblicher. Denn obwohl ich zufällige Begegnungen und neue Eindrücke liebe und aufsauge wie ein Schwamm, kann ich in den wenigsten Fällen das erzwungene Zusammensein mit dummen Menschen ertragen. Das ist in den ersten Minuten und vielleicht auch eine Stunde lang witzig, interessant und tatsächlich bereichernd. Bei mehrstündigen Fahrten ist es aber nur noch ein Mordgrund. Und die Erfahrung zeigt, daß sich entsprechende Menschen in Zügen überproportional oft neben mich setzen. Das kann mir freilich auch in der ersten Klasse passieren, aber schlicht weil es dort weniger voll ist (und nicht weil dort smartere Menschen sitzen, nein!), ist das Risiko geringer.

Heute zweifelte ich aber mal wieder an meinem Reisekonzept. Das erste Drittel meiner Fahrt von München nach Berlin wurde von zwei älteren Frauen begleitet, die sich auf peinlich oberflächliche Weise über Gott und die Welt unterhielten; dabei zum Ausdruck ihrer Weltläufigkeit immer wieder zu schlechtem Englisch und Französisch mit schwerem Schweizer Akzent wechselten. Ich war mehrmals kurz davor meinen Kaffee in die richtige Richtung umkippen zu lassen. Alleine eine Sauerei-Nutzen-Analyse hielt mich zurück.

Aber Erleichterung war nah. Als die beiden endlich ausgestiegen waren, quartierten die Schaffner eine Mutter mit Sohn und Tochter aus purer Platznot in die erste Klasse um. Der Junge beschwerte sich lautstark und mit dröhnendem Gelächter, daß er zweite Klasse gebucht sei und höchstens noch die dritte Klasse akzeptieren würde. Später wollte das Mädchen dann ihren Schal als Fahrkarte aufdrängen ("meine gestrickte Karte!"). Irgendwie war die Welt wieder in Ordnung.

Vielleicht fahre ich doch im falschen Teil des Zugs.

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