Montag, Januar 30, 2012

Saftladen


Neulich bin ich mal wieder Bahn gefahren. Ich fahre gerne Bahn. Entspannter kann man kaum reisen. Ganz zu schweigen von dem CO²-Footprint der meinem verlotterten Karma ordentlich gut tut.
Nun gedachte ich der schon gewohnten Entspanntheit eine Krone aufzusetzen und richtigen echten Schlaf mit Bett und Bettdecke zu addieren. Das erste Mal Schlafwagen. Der CNL 1246 von München nach Berlin. Start um 21:50, ankommen um kurz vor neun. Viel Zeit zum Lesen, Rumhängen und Schlafen.
Die Bahn bewirbt ihre Citynightline auf ihrer Website mit hübschen Hotelfotos und den klassischen Superlativen. Und ich freue mich wie ein kleines Kind auf diese Nacht. Angst vorm Schunkeln oder den dauernden Nebengeräuschen habe ich nicht. Im Gegenteil, leichter Hintergrund läßt mich meist eher wohliger schlummern als völlige Stille.
An was ich nicht dachte: Die Außentemperaturen waren in den letzten Nächten in die Minusbereiche gerutscht. Und es ist halt, naja, die Bahn.
Ich steige in den Wagon Nr. 18 mit der Seriennummer 6185 76-94 310-3 ein. Hergestellt wurde der Wagen von verschiedenen Firmen: Schindler Waggon, SGP, Talbot und einem Konsortium Waggonausrüstung Hotelzug. Hätte ich vorher ein bißchen gegoogelt, hätte mich vermutlich stutzig gemacht, daß es die besagten Firmen entweder nicht mehr gibt oder daß sie in entkernter Form mittlerweile etwas völlig anderes machen.
Mein Bett liegt ziemlich nah am Eingang, ich steige eine kleine Treppe nach oben und bin erst mal ziemlich baff. Ich kann mich bequem ausbreiten, in der Kabine hätten auch vier Betten Platz gefunden. Zugegeben, ich hatte mir – wennschondennschon – die Version mit Einzelbett, eigener Dusche und WC ausgesucht. Vor dem Gedanken nachts im Schlafanzug auf eine Gemeinschaftstoilette zu stolpern, hatte ich dann doch Angst. Im Nachherein scheinen DIESE Bedenken fast albern.
Aber es gilt noch Lob zu hudeln: Das Bett ist frisch gemacht und sauber. Auf dem Tisch stehen Orangensaft und Wasser. Der Schaffner hatte mir gar noch eine kleine Flasche Rotwein (Käfer, Schraubverschluß, ohne Herkunftsort) gestiftet, die Fenster bieten zur Seite und nach oben echtes Panorama.
Nur wenn man genauer hinschaut merkt man ein paar Dinge die einen irritieren könnten: Der Kunststoff im Bad hat auf der Toilette und in der Dusche so einige echt häßliche Flecken, es sieht ein wenig nach rostigem Wasser aus, das sich da festgesetzt hat. Auch der Duschkopf möchte dringend ausgewechselt werden – aber der Vorgriff auf die Recherche der Firmengeschichte läßt einen ahnen, daß es Ersatzteile für diesen Waggon möglicherweise gar nicht mehr gibt.
Trotzdem, ich fühle mich richtig wohl, die etwas ältliche Einrichtung verströmt einen leichten Steampunk-Charme. Ich lese noch etwas, trinke den Rotwein und schlafe gegen elf Uhr ein, sanft geschaukelt und angebrummt von der Lüftung der Klimaanlage. Wundervoll.
0:20 ist die Nacht zu Ende. Erst denke ich, daß mein Wecker schon klingelt, aber das rhythmische Hupen ist ein Rauchalarm. Irgendein hirnverbranntes Arschloch hat in seinem Abteil geraucht und der Hersteller des Wagens fand es sinnvoll im Falle des Falles gleich alle Mitfahrer zu informieren. Man lernt nun seine Mitreisenden im Schlafanzug auf dem Gang kennen. Der Schaffner hantiert kurz mit Schaltern und es herrscht wieder Ruhe.
Aber ob es nur zufällig zusammen fällt oder doch irgendwie mit dem hantieren am Alarm zu tun hat – plötzlich fällt mir auf, daß die Lüftung nicht mehr geht. Sie hat bisher die warme Luft der Klimaanlage ins Abteil geblasen.
Ich vertraue selig auf die Automatik des Systems und versuche wieder einzuschlafen. Aber es funktioniert nicht mehr, es wird immer kälter.
Als sich um eins noch immer kein Lüftchen rührt, beginne ich meinen Zugbegleiter zu suchen. Offenbar hat er sich in irgendein Abteil zurück gezogen, aber welches? Ich gehe mehrere Waggons in die eine wie in die andere Richtung ohne jemanden zu finden. Ärgerlich. Nun denn, Züge lassen sich anrufen, das wird auch hier gelingen. Ich fange an zu telefonieren, werde mehrmals wegen der schlechten Verbindungen unterbrochen, bin öfter der Buchbinder Wanninger, aber gegen zwei erreiche ich jemandem in Berlin der mir verspricht sofort den Zugführer zu informieren. Und tatsächlich, zehn Minuten später stürmt ein älterer Herr in meinen Waggon und klopft meinen Zugbegleiter aus seiner Kabine. Ist die Rettung nah? Wird’s jetzt wieder warm?
Nein, es wird nicht mehr warm werden. Der Zugbegleiter informiert mich, daß die Klimaanlage auf Hochtouren laufe, die Zirkulation der Luft aber immer mal wieder ausfalle, wenn die Lok nicht genügend Strom liefern würde. Ich könnte in einen Liegewagen umziehen (dankeschön…) oder auf den Lokwechsel um 5 Uhr hoffen. Jedenfalls sei das mehr oder weniger normal und Massenerkältungen bei kühlem Wetter die Regel.
Großes Kino.
Nun, ich richte mir meinen Polarschlafplatz so gut es geht ein. Ich habe mich wieder komplett angezogen, ins Bett gelegt und noch meine Northfacejacke als zweite Decke drüber getan. Das geht so halbwegs. Aber an meinen Ohren und meiner Nase ist es verdammt kalt, an echten Schlaf ist nicht zu denken.
Ich döse frierend bis 5 Uhr und merke das Rumpeln des Lokwechsels bei Hildesheim. Und tatsächlich, plötzlich geht die Lüftung wieder an und warme Luft strömt in mein Abteil. Mehr Strom? Oder hat der Zugbegleiter doch noch den richtigen Schalter gefunden?
Um sieben wollte ich mich wecken lassen und jetzt hatte ich noch zwei Stunden Schlaf vor mir, ich wußte, mein Aufwachen würde grausam werden.
Und das wurde es. Das Frühstück war auch kein Trost. Billige Massenware. Jedes Lufthansa-Economy Frühstück ist ein Festmahl dagegen.
Die Bilanz: Das Ganze macht nicht nur ärgerlich, sondern auch nachdenklich. Die Bahn macht hier bei einem Premiumangebot alles falsch. Sie nutzt Hardware, die längst ausgetauscht hätte werden müssen, statt dessen investiert man in Halbstundengewinne auf Strecken auf denen dann die Klimaanlage bei Hochtemperaturen ausfällt. Gleichzeitig werden Kosten im Kundenkontakt so weit reduziert, daß das Geldausgeben bei der Bahn immer mühsamer wird. Das S-Bahn-Drama in Berlin war nur die Spitze einer bestimmten Art diesen Betrieb zu führen. Ich weiß nicht, ob es an der Regentschaft des Shareholder-Value liegt oder gar umgekehrt am hohen Staatsanteil der die Bahn de facto immer noch einen Staatsbetrieb seinläßt.
Vermutlich ist es aber doch einfach nur Dummheit.
Beim Aussteigen fragt mich der Zugbegleiter übrigens in freundlicher Routine, ob er mich auf dem Rückweg nach München wieder sehen wird. Ich habe ihn nur völlig fassungslos angesehen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

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